Taipeh | 26. Juni – 1. Juli
Wir sassen zu dritt im Auto – June, Remo und ich – und fuhren auf dem Highway von Yilan in Richtung Taipeh. Für Remo und mich war es das erste Mal auf der Autobahn in Taiwan. Die Maximalgeschwindigkeit liegt bei 110 km/h. Anstatt einer Vignette hat hier jedes Auto einen iTag. Das ist eine Art Chip, der aufzeichnet, welche Strecken man mit dem Auto auf der Schnellstrasse zurücklegt. Die entsprechende Autobahngebühr wird dann direkt von der Kreditkarte abgebucht.
Fun Fact: Fast alle Taiwanesen statten ihre Autos mit Kamera aus, um sich bei Rechtsstreiten zu schützen. Bei Autounfällen ist auf diese Weise anhand des Videomaterial nachvollziehbar, was genau passiert ist. Es gibt aber gemäss June auch hobbylose Taiwanesen, die sich ihre «Autovideos» regelmässig genau anschauen und «Verkehrssünder» bei der Polizei anzeigen. Es gibt wohl auch Bünzlis in Taiwan. 😂
Während der Ferienzeit darf man den Highway nur nutzen, wenn mindestens drei Personen im Auto sitzen – puh, Glück gehabt. Dadurch soll die Anzahl der Autos auf der Schnellstrasse reduziert werden. Scheint zu funktionieren. Wir konnten fast ohne Stau bis nach Taipeh fahren. Nur einmal zeigte eine digitale Anzeige, dass es kurz stauen würde: Die Anzeige gab Auskunft, wo es staute, warum und in welchem Tempo man voraussichtlich weiterfahren kann. Das wäre doch auch was für unsere Schweizer Strassen, oder?
June hatte sich für diese Nacht bei ihrer Kollegin namens Eva in einem Stadtteil etwas ausserhalb des Zentrums von Taipeh einquartiert. Unverhofft lud Eva uns ebenfalls ein, bei ihr im Haus zu übernachten. Wir nahmen das Angebot dankend an. So konnten wir noch etwas Zeit zu viert verbringen.
Im Haus hätte man locker noch eine ganze Fussballmannschaft einquartieren können. Das Haus hatte Eva von ihren Eltern übernommen und wohnte dort mit ihrer über alles geliebten und verschosshündelten Katze. Uns war die Katze allerdings etwas unheimlich, weil sie uns böse Blicke zuwarf oder uns anfauchte, wenn Eva gerade nicht schaute. 😅
Für die Nacht durften wir uns im untersten Stock des vierstöckigen Hauses einquartieren. Von dort aus hatten wir eine tolle Aussicht auf die Nachbarschaft. Und so kamen unsere Mätteli und Schlafsäcke doch nochmals zum Einsatz.



Ausflug in die «Altstadt» von Taipeh
Am nächsten Morgen erwachten wir erst nach 10.00 Uhr. Irgendwie waren wir wohl doch ziemlich erschöpft von unserem Wander-Abenteuer im Shei-Pa National Park.
Nach dem Mittag machten wir uns auf in die «Altstadt» von Taipeh. Also, «Alt» heisst hier 150 Jahre. 😅
Da haben unsere Altstädte doch eine etwas längere Geschichte zu erzählen. Trotzdem war es spannend durch die Strassen zu schlendern, die Gebäude zu betrachten und uns in den kleinen Läden umzuschauen.
Vor einem Laden blieb June kopfschüttelnd stehen. Wir folgten ihrem Blick und sahen einen überfüllten Ladentisch mit «getrockneten» Meereswaren. Sie sprach leise und zeigte verdeckt auf die weissen, blätterartigen Objekte: Haifischflossen. Sie erzählte uns vom Shark-Finning. Auch gewisse taiwanesische Seefahrer praktizieren diese Gräueltat. Dabei werden dem Hai auf offenem Meer die Flossen abgeschnitten und das Tier dann dem Meer überlassen. Der Hai stirbt dabei nicht sofort, aber er ist unfähig zu schwimmen und verendet am Meeresgrund. Leider hat die Nachfrage nach Haifischflossen gerade in China stark zugenommen. Die Flosse wird dort vor allem für die prestigeartige Haifischsuppe und medizinische Belange verwendet. Darum werden die «Delikatessen» wohl auch hier in dieser Touristenzone verkauft. Traurig. Wir gingen weiter.







Da es wiederum ein heisser Tag war, gönnten wir uns ein leckeres Eiskaffee in einem kleinen, unscheinbaren Café. Bereits beim Eintreten war uns klar: Wir sind im Hundehimmel gelandet. Wir waren tatsächlich in einem Hunde-Café. Die zwei «Gastgeber-Hunde» höselten mit ihren Windeln durchs Café, assen aus ihren Schälchen und kamen von Tisch zu Tisch. Was für eine Show.


Es war spannend den Erzählungen der beiden Vollblut-Taiwanesinnen June und Eva zu folgen. Sie berichteten, wie sich Taiwan in den letzten Jahren verändert hat und was sie sich für die Zukunft wünschen würden. Ein unabhängiges Taiwan, ein gesundes Volk und die Möglichkeit, auch bald wieder einmal eine Reise anzutreten.
Schliesslich brachten June und Eva uns zu unserem Hostel, welches wir bereits von unseren ersten Tagen in Taiwan kannten. Der Abschied fiel uns schwer. June hatte uns so viel über Taiwan und die Menschen hier beigebracht. Wir verabschiedeten uns jedoch im Wissen, dass wir uns irgendwann, irgendwo wiedersehen würden.
Apropos wiedersehen.
Wanderplausch mit einem bekannten Gesicht
Für den nächsten Tag hatten wir uns mit Lee verabredet, den wir ebenfalls in Jinzun kennen gelernt hatten. Er hatte sich für uns ein attraktives Tagesprogramm überlegt. Eine kurze Wanderung, meinte er. Mich plagte zwar immer noch ein fieser Muskelkater in den Waden, aber eine kurze Wanderung würde da schon drin liegen.
Die Wiedersehens-Freude war riesig, als wir bei ihm ins Auto einstiegen. Lee ist ein junger, sympathischer Typ, der uns bei unserer gemeinsamen Zeit in Jinzun sehr viel über Taiwan lehrte und uns mit seinen Witzen immer wieder zum Lachen gebracht hatte.
Zusammen mit ihm, seiner Freundin und deren Kollegin fuhren wir etwa eine Stunde bis zum Ausgangspunkt der Wanderung. Bereits nach 30 Minuten Fahrt, spürte man überhaupt nichts mehr vom Stadtleben. Alles war grün. Wir waren beeindruckt. Wie Nahe hier Stadt und Natur liegen. Faszinierend.
Und dann ging die Wanderung los. Zwei Kurven auf einem Waldweg und schon kamen wir zur ersten Kletterpassage.
So ging es dann für zwei Stunden weiter. 😂
Zwar hatte es überall Seile, an denen wir uns hochziehen und festhalten konnten. Gewisse Stellen hätten wir auch umgehen können. Aber nach unserem Wanderabenteuer im Shei-Pa National Park waren wir es uns ja gewohnt, in den Seilen zu hängen. 😋
Natürlich waren wir an diesem sonnigen Sonntag nicht ganz alleine unterwegs:




Die Wanderung hatte noch weitere Überraschungen auf Lager. Wer hätte gedacht, dass wir uns ca. 30 Meter abseilen mussten – ohne Sicherung. 😅
Wir versuchten unsere wackeligen Beine zu ignorieren und machten es unseren Vorgängern nach. Umkehren war keine Option. Lee ging voraus und gab uns von unten ein paar Tipps. 30 Meter ins Ungewisse abseilen – für Taiwanesen anscheinend kein Ding. Auf der Wanderungen trafen wir auf Familien und Seniorengruppen. Wie diese wohl hier runter gekommen sind? 😅





Es ging nochmals eine Weile über Stock und Stein, kurze Felswände und überwachsene Waldwege. Das tropische Klima war erbarmungslos und oben angekommen waren wir alle plitschnass geschwitzt. Trotzdem durfte natürlich das obligate Gipfel-Selfie nicht fehlen.
Der Abstieg war dann vergleichsweise einfach und in weniger als einer Stunde waren wir bereits wieder zurück beim Auto. Wir waren alle verschwitzt und hungrig. Also einigten wir uns zuerst in den naheliegenden Fluss zu hüpfen und uns anschliessend auf der Rückfahrt ein reichhaltiges Zmittag zu gönnen.
Natürlich waren wir auch beim Baden im Fluss nicht ganz alleine. Gefühlt jede Familie aus der Gegend sass hier im Fluss. Wir liessen uns eine Weile in den gebauten Pools treiben und versuchten die vielen schreienden Kinder, leckeren Grilldüfte und die laute Musik auszublenden. 😂
Als wir unsere knurrenden Magen nicht mehr ignorieren konnten, machten wir uns auf den Rückweg. Lee’s Freundin hatte bereits ein Restaurant für uns herausgesucht. Lee bestellte für uns alle und kurze Zeit später brachte die Bedienung etliche Platten und Schalen mit wunderbaren Köstlichkeiten.



Dann ging es auch schon zurück nach Taipeh. Wir genossen die Fahrt im klimatisierten Auto. Draussen rauschten grüne Landschaften an uns vorbei und in der Ferne konnte man bereits wieder die Stadt erkennen. Zum Glück waren wir früh losgegangen. Mittlerweile war der Himmel dunkler geworden und dicke Regentropfen trommelten auf die Windschutzscheibe.
Zurück in Taipeh verabschiedeten wir uns von unseren Wandergefährten. Der Tag war viel zu schnell vorbei gegangen und wir hätten noch lange über Gott und die Welt diskutieren können. Lee und seine Freundin wollen uns in der Schweiz besuchen kommen. Sobald die Welt dann wieder in Ordnung sei, sprüchelten wir damals. Warten wir mal ab.
Eintauchen in Taipeh’s Untergrund
Eigentlich hatten wir uns entschieden, keine Souvenirs in die Schweiz mitzubringen. Doch für unsere «Gottemeitlis» wollten wir dann doch etwas Kleines aus diesem beeindruckenden Land besorgen. Zumal Remo ja auch auf dieser Insel zum zweiten Mal Götti geworden war und wir den kleinen Sonnenschein «Sina» bald zum ersten Mal live sehen würden. 😍
Also ging es am nächsten Tag auf Geschenke-Tour.
Wo findet man am ehesten ein passendes Souvenir? Wir wollten einfach mal druflos laufen und uns am Bahnhof umschauen. Wir wussten ja mittlerweile, dass der Bahnhof ziemlich gross war.
Wir begaben uns in den Untergrund des Bahnhofs. «Gross» ist das falsche Wort. Der Bahnhof mit all seinen Winkeln und Verzweigungen ist «riesig». In dieser «Unterwelt» konnte man sich locker verirren.
So schlenderte wir den Länden entlang und erkundigten die unbekannten Tiefen von Taipeh. Wir schauten uns um, liessen uns inspirieren und beobachteten die anderen Leute. Geschäftsleute, die hastig an uns vorbei eilten. Junge Paare, die wie wir durch die Landengasse schlenderten. Herumhüpfende Kinder, die sich wohl vor den Länden ihrer Eltern mit Spielen verweilten. Essenstände, Spielautomaten, Kleiderläden, Handyshops, Schmuckläden und Souvenirshops soweit das Auge reichte. Und einen grossen unterirdischen, öffentlichen Tanz-Saal durchquerten wir ebenfalls.




Der Tag zog an uns vorbei, als ob dieser Untergrund eine Art «Zeitfresser» wäre. Als wir unsere Geschenke-Tour beendet hatten, war es draussen bereits Nachmittag geworden. Höchste Zeit uns auf den Weg zu Bo und Huai zu machen.
Ein stiller Partyabend
Bo und Huai, ein taubstummes Paar, hatten wir in Jinzun kennengelernt. Die beiden wohnen in Taipeh und meinten, wir sollen uns unbedingt melden, wenn wir wieder in der Hauptstadt seien. Das taten wir und so verabredeten wir uns zum Abendessen.
Die beiden hatten noch ein paar andere Freunde eingeladen. Ein ebenfalls taubstummer Freund aus Australien, der jedoch als Junge das Sprechen gelernt hatte, und zwei «hörende» Freunde aus der Nachbarschaft. Eine spannende Mischung aus Zeichensprache und akustischen Gesprächen entstand, während uns immer mehr leckere Schalen und Töpfe aufgetischt wurden. Google Translator half uns als treuer Helfer bei der «Übersetzung».
Nach dem leckeren Essen gönnten wir uns noch ein paar Biere in einer gemütlichen Bar unter freiem Himmel. Je später der Abend, umso besser verstanden wir uns – auch ohne Google Translator. 😉



Tschüss Taiwan und hallo Schwiiz
Auch am letzten Abend in Taipeh verabredeten wir uns nochmals mit Bo und Huai, die uns ein phänomenales Abschluss-Night-Market-Erlebnis zauberten. Wir schlenderten durch den Shilin Market, an unzähligen Essenständen vorbei und probierten dies und das. Das Krönchen war das «Shaved Ice» – was für ein Abschluss unserer Reise.





Und dann kam er: Der Abschied.
Wo waren nur die letzten vier Monate geblieben? Alles ging fast etwas zu schnell. Wir sassen in der Metro von Taipeh zum Flughafen. Unsere grossen Rucksäcke vor uns am Boden. Links und rechts andere europäisch aussehende Touristen. Es fühlte sich bereits nicht mehr wirklich wie «Taiwan» an. Eine Melancholie schlicht in unseren Bäuchen herum. Wir wechselten nur wenige Worte und liessen die vorbeiziehende Landschaft nochmals auf uns wirken.
Wer hätte gedacht, dass uns diese Insel, die uns zuerst so fremd vorkam, so ans Herz wachsen würde?
Heute können wir das ungute Gefühl von damals gar nicht mehr nachvollziehen. Die Insel hat uns verzaubert. Sie hat uns zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten zusammengebracht. Sie hat uns das Meer und die Berge nochmals von einer neuen Seite entdecken lassen. Sie hat unseren Horizont geöffnet, uns den Einblick in eine spannende Kultur erlaubt und uns diverse kulinarische Leckerbissen aufgetischt. Sie hat uns gezeigt, dass es sich lohnt, zweimal hinzuschauen. Und sie hat uns bestätigt, dass «einfach mal druflos» gar keine so schlechte Idee ist. 😅
Was nehmen wir mit? Einen grossen Rucksack voller prägenden Erlebnissen und das Vertrauen, dass uns das Leben zur richtigen Zeit an den richtigen Ort führen wird. So wie es uns in dieser herausfordernden Pandemie-Zeit in das wohl sicherste Land der Welt geführt hat. Wir sind unendlich dankbar für dieses grosse Geschenk. Und wir danken auch euch, liebe Leserinnen und Leser, dass ihr diese Reise mit uns gegangen seid.

