Jinzun | 25. März – 22. April 2020
Das schöne am „Wohnen“ in einem Surf House ist, dass man auf viele Gleichgesinnte trifft. So haben wir in Jinzun tolle Leute kennen gelernt. Gemäss Ula, dem Besitzer des Surf Houses, habe er bisher eigentlich vor allem ausländische Gäste beherbergt. Da die Grenzen von Taiwan jedoch vorläufig geschlossen sind, darf er momentan auch vermehrt taiwanesische Gäste begrüssen. Doch leider ist das Surf House höchstens an den Wochenenden ausgebucht. Corona lässt grüssen.
Daher freuten wir uns umso mehr, wenn wir wieder einmal neue Gäste willkommen heissen durften. Zusammen mit Dara und Fiona waren wir schon fast wie ein kleines Empfangskomitee. 😂
Im Gespräch mit den Leuten hier durften wir viel über die taiwanesische Kultur lernen. Über die Leute hier, über das Essen, über Traditionen, über die Politik. Wir durften Taiwan von einer anderen Seite kennen lernen. Von Leuten, die hier aufgewachsen sind und denen ihre Insel sichtlich am Herzen liegt.
Die Geschichte des Jinzun Surf Houses
Ula arbeitete früher als Filmemacher für grosse Firmen, erstellte Werbungen und kleine Kurzfilme. Er verdiente viel Geld mit seiner Arbeit, hatte eine coole Wohnung in Taipeh und konnte sich alles leisten, was er wollte. Aber er war nicht glücklich.
Die Arbeit erfüllte ihn nicht. Irgendetwas fehlte. Und dieses Puzzleteil entdeckte er auf einem Trip an die Ostküste. Das Surfen. Die Zeit im Meer war es, die ihn glücklich machte. Daher stellte er sein ganzes Leben auf den Kopf, kündigte seinen Job und kam nach Donghe, wo er sein Leben seiner Leidenschaft widmen konnte.
Seine Freunde konnten seine Entscheidung anfangs nicht verstehen. Warum Ruhm, Geld und Ansehen aufgeben, um in einer kleinen, einfachen Wohnung am Meer zu leben? Als sich ihm die Möglichkeit anbot, ein Grundstück zu mieten (an der Ostküste gehört alles Land der Regierung, daher kann man hier nichts kaufen), packte er die Chance, um hier ein „Zuhause“ für Gleichgesinnte aufzubauen. Ein Surf House in unmittelbarere Nähe von mehreren coolen Surfspots.
Ula’s Lebensgeschichte hat uns sehr berührt. Und wir können seine Leidenschaft fürs Surfen gut nachvollziehen. Das Surfen hat etwas Entspannendes, Adrenalinhaltiges, Süchtigmachendes und zugleich Entschleunigendes. Wir sind sehr dankbar, dass er mit dem Erfüllen seines Traums, uns ermöglichte, in Jinzun der selben Leidenschaft nachzugehen.
Ein Zmittag gespickt mit taiwanesischer „Staatskunde“
Ula und seine Freundin Mikki luden uns zusammen mit Dara und Fiona zu einem leckeren Mittagessen auf ihrer „grünen Insel“ ein. Sie leben etwas abgelegen auf einer „Halbinsel“, die man nur über eine Brücke erreichen kann. Ringsherum führt ein Fluss, der das grüne Stück Land vom Rest abtrennt.
In unserem Fettnäpfchen-Führer für Taiwan, worin wir vor unserer Anreise gestöbert hatten, gab es ein ganz grosses Tabu-Thema in Taiwan. Das Verhältnis zwischen Taiwan und China. Im Austausch mit Ula und Miki konnten wir endlich jene Fragen zu diesem Thema stellen, die uns schon lange auf der Zunge brannten.

Taiwan ist nicht gleich China.
Doch das ist leider vielen Leuten nicht bewusst. Und auch die chinesische Regierung will das nicht wahrhaben. Auch wenn Taiwan den Namen „Republik of China“ trägt und die taiwanesische Airline „China Airlines“ heisst. Viele Taiwanesen hoffen, dass diese „falschen“ Namen bald der Geschichte angehören und man den Begriff „China“ ganz aus dem taiwanesischen Leben streichen kann.
Doch Taiwan ist zweigeteilt. Die ältere Generation glaubt immer noch daran, dass Taiwan wieder engere Beziehungen zu China haben sollte. Denn China hat Geld. Und Geld ist sehr wichtig für ein erfülltes Leben. Das vermittelt zumindest das Fernsehen. Und was im Fernsehen erzählt wird, stimmt. Davon sind zumindest viele ältere Taiwanesen überzeugt.
Die jüngere Generation hingegen ist eher „Anti China“ eingestellt. Sie traut sich, Dinge zu hinterfragen.
Ula erzählte uns, dass auch in Taiwan ein obligatorischer Militärdienst für Männer gilt. Die Militärbasis liegt auf den Kinmen Inseln, nur zwei Kilometer vor dem chinesischen Festland. Er erinnert sich gut daran, dass es bei Übungen nie hiess „Falls der Feind angreift, müsst ihr das und das machen“. Sondern es hiess immer „Wenn China angreift“.
Taiwan weiss, wozu China fähig ist. Und China lässt Taiwan spüren, dass sie präsent sind. So fliegen fast täglich chinesische Jets oder Hubschrauber den taiwanesischen Küsten entlang, um zu zeigen „Wir sind hier“.
In der Öffentlichkeit zeigt China Taiwan jedoch eine relativ freundliche Fassade. Wenn Taiwanesen nach China reisen, „müssen“ sie den „Citizen-Zoll“ passieren. Sie werden also als „Einheimische“ behandelt. Auch werden sie von Chinesen mit „Willkommen zurück“ begrüsst. Als ob sie eigentlich dorthin gehörten, ein Teil von China sind. Dieses Verhalten löst nicht nur bei Ula und Mikki Kopfschütteln aus. Auch wir können diese spezielle Beziehung irgendwie nicht ganz verstehen.
Zum Glück sei momentan die „Grüne Partei“ an der Macht. Denn diese stehe für ein unabhängiges Taiwan und reagiere China gegenüber daher eher misstrauisch. Das kam dem Inselstaat während der Coronakrise zu Gute. Denn bereits ein paar Tage nachdem der Vorfall in Wuhan publik wurde, stoppte Taiwan den Export von Mundschützen und kontrollierte die Einreise von chinesische Staatsbürger sehr genau.
Man ahnte, dass China hier eine „grössere“ Sache zu vertuschen versucht. Es war diese misstrauische Haltung, die Taiwan schliesslich vor dem Schlimmsten bewahrte. 442 Fälle gab es total auf der Insel. Darunter 7 Todesfälle (Stand: 31.05.2020). Und das bei einer Bevölkerung von knapp 24 Millionen Menschen. Eine Meisterleistung im Vergleich zu vielen anderen Ländern. Und das trotz der geografischen Nähe zum Ausbruchsort.
Bestimmt sind die Schilderungen und Informationen oben sehr subjektiv behaftet. Doch was wir hier spüren und zu hören kriegen, stimmt uns doch sehr nachdenklich. Man sollte China nicht unterschätzen. Auch in Europa nicht.
Lee weiss alles
Von Lee haben wir euch im letzten Beitrag bereits erzählt. Er hatte für uns den „Dumpling-Plausch“ organsiert.
Lee arbeitet als Tour Leader. Er begleitet also taiwanesische Touristengruppen in andere Länder. Seine Aufgabe ist es, alle Leute zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen, Fragen zu beantworten und für die Leute da zu sein. Wir sind sicher, dass er diesen Job unglaublich gut ausführt.
Denn Lee weiss alles. Er hat ein solch fundiertes Allgemeinwissen, dass man fast ein bisschen neidisch wird. Bevor er Tour Leader wurde, hatte er als Übersetzer gearbeitet. Daher auch sein einwandfreies Englisch. Von ihm haben wir so viele spannende Facts über Taiwan erfahren. Er war es auch, der uns mit den Musiklegenden von Taiwan „bekannt“ machte. „Jay Chou“ ist schon seit Jahren im Showbusiness und nicht nur in Taiwan berühmt.
Den Leuten hier gefallen diese „Herz-Schmerz-Lieder“. Sogar in Cafés läuft eigentlich meistens solche Musik. Da muss man schauen, dass man nicht total sentimental wird, während man am Kaffee nippt. 😜
Auch eine weibliche Sängerin aus Taiwan hat sich einen Namen im asiatischen Raum gemacht und steht auf den Karaoke-Song-Listen immer ganz oben: „A-mei“.
Lee zeigte uns dann noch ein paar andere Bands, die seinem momentanen Musikgeschmack entsprechen. Beispielsweise „Matzka“.
Dank Lee haben wir einiges über Taiwan dazugelernt. Nicht nur musikalisch. Lee war es auch, der uns erklärte, warum man hier in Shops keinen Mundschutz kaufen kann. Darüber hatten wir uns schon einige Male gewundert.
Als die Lage prekärer wurde, hat die Regierung die Ausgabe reguliert. Denn wie auch in Europa, kam es auch hier anfangs zu Hamsterkäufen. Um Masken zu bestellen, muss man sich nun online mit seiner ID registrieren, die Masken anfordern und bereits mit der Kreditkarte bezahlen. Anschliessend kann man die bestellten Masken in 7-Eleven-Shops abholen. Pro Woche gibt es maximal neun Masken pro Person.
Mit Lee hatte Remo übrigens auch einen Game-Companion gefunden. Lee hatte seine Nintendo Switch mitgebracht und die zwei konnten sich damit stundenlang verweilen. 😂

Das Surf House als Begegnungsort
Einmal verweilte ein taubstummes Pärchen aus Taipeh im Jinzun Surf House. Das war eine besonders spannende Begegnung. Und irgendwie war es trotzdem kaum anders als mit hörenden, chinesisch-sprechenden Menschen. Wir nutzten Google Translator, um zu kommunizieren.
Wir verabredeten uns zum gemeinsamen Abendessen und suchten uns ein Restaurant in Dulan aus. Das ist etwas eine 20-minütige Autofahrt von Jinzun. Bereits die Fahrt war speziell. Es war einfach still. Plötzlich stellen sie die Musik an. Für uns. Er meinte, es müsse wohl schöne, ruhige Musik sein. Und sie erklärte uns via Google Translator, dass sie beide die Vibration der Musik spüren und daher erahnen können, welche Musik gerade läuft.
Auch das Abendessen war eine spannende Erfahrung. Einfach mal ein ruhiges Znacht. Es brauchte keine Worte. Nur das Schlürfen der Suppe und der Klang der Stäbchen war zu hören. Diese Stille hat irgendwie auch etwas Beruhigendes. Auf jeden Fall werden wir uns bei diesen zwei wunderbaren Menschen melden, sobald wir zurück in Taipeh sind. Auf dieses Wiedersehen freuen wir uns bereits.

Immer wieder trafen wir hier auch auf andere Europäer. Die meisten arbeiten aber hier. So auch Dom aus England. Ein besonders lustiger Vogel. Irgendwie war er wie ein kleiner Bruder für uns, auch wenn er etwa gleich alt war wie wir. Aber er war so tollpatschig. Den Umgang mit dem Roller mussten wir ihm daher zuerst beibringen. Und da gab es einige prekäre Momente, wo wir fast nicht hinschauen konnte. Einigen Blumentöpfen der Nachbarn kam er verdächtig nahe.
Dom kam der Liebe wegen nach Taiwan und war sofort Feuer und Flamme für diese Insel. Auch nachdem er sich von seiner Freundin getrennt hatte, kam er für den Urlaub immer wieder nach Taiwan und entschied sich schlussendlich, Chinesisch zu lernen und hier ein eigenes Business aufzubauen. Er war nicht der einzige, den wir hier kennen lernten, der einen Intensiv-Chinesisch-Kurs besuchte.
Auch ein Typ aus Frankreich (der Name der Redaktion leider entfallen) startete so seine „Karriere“ in Taiwan. Mittlerweile ist er seit drei Jahren in Taiwan, arbeitet für eine internationale Firma in Taipeh und spricht praktisch fliessend Chinesisch. Wir waren beeindruckt. Denn Chinesisch ist wohl die schwierigste Sprache, die man lernen kann. Denn nur schon die Aussprache hat es wirklich in sich. Das durften wir hier ja auch schon erleben. Je nachdem wie man ein Wort ausspricht, kann es unterschiedliche Bedeutungen haben.
Spannenderweise durften wir auch immer wieder belgische Staatsbürger im Jinzun Surf House begrüssen. Wie wir dann aber im Gespräch herausfanden, arbeiteten alle für die gleiche belgische Firma mit Sitz in Taipeh. Alles Ingenieure mit abgeschlossenem Masterstudium.
Sie haben einen ganz speziellen Arbeitsvertrag. Während zwei Monaten arbeiten sie an 6 Tagen die Woche für 12 Stunden und haben anschliessend einen Monat Urlaub. Ein gutes Salär und der Flug nach Belgien inbegriffen. Die Arbeit muss ziemlich herausfordernd sein. Zudem verlangt der Arbeitgeber, dass alle Angestellten einen bezahlten Chinesisch-Kurs besuchen. Das ist einerseits sehr grosszügig, aber wann soll man lernen, wenn man nach 12 Stunden Arbeit todmüde nach Hause kommt? Und den einen „Wochenend-Tag“ wird man wohl auch für anderes nutzen.
Wir wurden uns nicht ganz einig, ob es diese vier Wochen Ferien wirklich wert sind, zwei Monate lang praktisch ununterbrochen zu arbeiten. Aber das muss wohl jeder für sich entscheiden.
Jinzun’s Nachbarschaft
Wenn wir von herzlichen Begegnungen sprechen, dürfen wir unsere Nachbarschaft nicht ausklammern. Auch wenn die ersten zwei Wochen etwas harzig waren. Damals wurden wir als Touristen nicht gerne im Örtchen gesehen. Sie hatten wohl Angst, dass wir ihnen das Coronavirus vor die Haustüre bringen.
Mit der Zeit kannte und grüsste man sich auf der Strasse. Einige wenige Nachbarn bemusterten uns zwar immer noch etwas misstrauisch, aber wir machten uns nichts draus, winkten, lächelten und grüssten freundlich.
Auch die anderen Surfer im Wasser kannten uns mittlerweile. Und die Kinder auf ihren Trottinetts grüssten uns mit „Hello, hello. How are you?“. Allgemein waren die Leute sehr stolz, wenn sie ihre Englisch-Wörter auspacken konnten. 😂
Unsere „direkte“ Nachbarin war besonders freundlich. Sie brachte uns immer wieder Kleinigkeiten vorbei. Frische Banane, Litchi oder Guavas (siehe Bild). Einmal überreichte sie uns eine Leckerei, die wir nicht zuordnen konnten. Wir waren zuerst unsicher, ob es sich um Vogelfutter handelte. Es schmeckte aber super, denn die kleinen Körnchen und Nüsse waren mit Honig zu einer Pyramide geformt. Der ideale Snack vor dem Surfen.


Irgendwie scheinen die Leute hier sehr zufrieden mit ihrem Leben zu sein. Auch wenn einige wirklich wenig besitzen und in kleinen, improvisierten Hütten wohnen. Oft sitzen die Familien oder Freunde draussen im Schatten spielen Mahjong, schauen Fern (dieser läuft praktisch den ganzen Tag) oder diskutieren miteinander.




Auch spannend: In Jinzun kann man den Rollerschlüssel während dem Surfen einfach im Roller stecken lassen. Man kennt sich und weiss, wem was gehört. Man akzeptiert die Eigentümer der anderen. Dasselbe gilt für die Häusern. Viel eher stehen die Türen weit offen, als dass sie abgeschlossen sind. Wir schätzten es sehr, eine Zeit lang ein Teil dieser Nachbarschaft zu sein.
Weiter geht’s nach Taitung
Der Abschied fiel uns schwer. In Jinzun hatten wir so viele coole Leute kennen gelernt. Das kleine Dörfchen mit den „winkenden“ Einwohnern ist uns irgendwie ans Herz gewachsen.
Um uns von diesem speziellen Ort zu „verabschieden“ machten wir einen letzten Abstecher auf „die Mauer“ am Jinzun Hafen. Von dort hat man einen besonders schönen Ausblick auf Jinzun.



Nach einem letzten Gruppenfoto mit Lee, Fiona und Dara (siehe Beitragsbild) brachte uns Ula mit seinem Van zur Bushaltestelle in Donghe, wo wir den nächsten Bus nach Taitung nehmen wollten.
Die Schutzmasken und unsere Easy-Card hatten wir bereit. Das komische Abschiedsgefühl sass uns aber noch in den Knochen. Doch fertig mit der Wehmut − wir durften jetzt weitere spannende Teile dieser Insel erkundigen. (Spoileralarm: Damals wussten wir noch nicht, dass wir eine Woche später bereits wieder in Donghe sein würden 😂)
Warum wir in Taitung bei diversen Auto-Vermietungen abblitzten und unsere Pläne total über den Haufen geworfen haben, erfahrt ihr im nächsten Beitrag.
Mal wieder ein schöner Beitrag!
Ich bitte nur um eine kleine Korrektur: die taiwanische Fluggesellschaft heißt „China Airlines“. „Air China“ gibt es zwar auch, allerdings ist das keine taiwanische, sondern eine (Festland-) chinesische Fluggesellschaft. Während wir gerne mit „China Airlines“ fliegen (und das nicht nur weil es die einzige Fluggesellschaft mit Direktflügen zwischen Deutschland und Taiwan ist), lese ich über „Air China“ wenig schmeichelhafte Erfahrungsbreichte – das wäre ein weiterer Grund die beiden nicht in einen Topf zu werfen.
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Hoppla, da haben wir wohl etwas durcheinander gebracht. 😅
Vielen Dank für den Hinweis und die Erläuterungen dazu. Werden wir gleich anpassen.
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Liebe Julia und Remo
Es hat mich wieder einmal der Gwunder gepackt und ich bin auf euer Reiseblog-Seite gelandet. So schön von euren Bekanntschaften und Erlebnissen zu lesen. Ich wünsche euch weiterhin viele schöne Abenteuer!
Liäbi Griäss, Mirjam
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Hallo Mirjam, das freut uns sehr. Vielen Dank und eine gute Zeit 🙂
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