East Coast | Wo Radfahrer-Herzen höher schlagen

East Coast | 23. – 25. März 2020

Wir hatten bereits im Vorfeld zwei Fahrräder für die nächsten drei Tage beim Giant Store reserviert. Ein super Package. Für CHF 50.− pro Person konnten wir ein top Tourenvelo für drei Tage mieten und dieses dann gleich bei unserem Ziel − Taitung − in einem anderen Giant Store wieder zurückgeben. Genau was wir suchten.

Zudem gab uns der Vermieter den Tipp, dass wir unsere grossen Rucksäcke via Zug nach Taitung „schicken“ konnten. Top. Etwas Ballast weniger.

Also hatten wir unsere sieben Sachen für die Velotour in kleine Säcke gepackt. Es ging eine Weile, bis wir Zelt, Schlafsack, Mätteli, Regen- und Sportbekleidung, Notebook, Handys, Notfallset, Zahnbürste, Deo und unsere Gadget-Tasche (Solarcharger mit Powerbanks, Spannsets, Befestigungsgurte, Schnur, Klammern, Regenhüllen, wasserabweisende Säcke etc.) in den Fahrrad-Taschen verstaut hatten.

Denn wir wussten: Heute wird es wohl nur 1x regnen. Den ganzen Tag. Also musste mindestens alle Elektronik möglichst gut und wasserdicht verstaut sein.

Gemäss Wetterbericht sahen auch die darauffolgenden Tage nicht wirklich besser aus. Aber eins nach dem anderen. Das Wetter in Taiwan hatte uns schon ein paar Mal überrascht. Vielleicht meint es Petrus ja trotzdem gut mit uns.

Nachdem wir unsere grossen Rucksäcke beim Bahnhof via „Baggage Claim“ nach Taitung verschickt hatten (eine Tortur mit Hände-Füsse-Verständigung), füllten wir unseren Energiehaushalt nochmals so richtig auf.

Dann kauften wir genügend Getränke für die erste Etappe und los gings durch die Stadt in Richtung Süden zum Highway 11. Diese Strasse würde uns die nächsten drei Tage den Weg nach Taitung zeigen.

1. Etappe | Hualien Station − Shitiping (69 km)

Unsere Regenjacken und -hosen wurden hart auf die Probe gestellt. Es hatte sich mehr als ausgezahlt, dass wir diese bereits die ganze Zeit „mitgeschleipft“ hatten. Es schüttete wie aus Kübeln. Doch nach einer Weile hatte man sich daran gewöhnt und alles was zählte, war das rhythmische Treten der Pedalen. Das hatte fast schon etwas Meditatives.

Schnell hatten wir die Stadt hinter uns gelassen. Und obwohl wir eigentlich Mountainbiker sind und uns ansonsten nicht wirklich gerne mit dem Rad auf der Strasse bewegen, waren wir sofort Feuer und Flamme für unseren „neuen“ Drahtesel.

Die Fahrt war wirklich angenehm.

  1. Wir hatten wirklich top Fahrräder. Aus Carbon. Und daher super leicht. Einmal in Bewegung fuhr das Rad fast von alleine.
  2. In der ersten Etappe gab es nur zwei kleinere Anstiege (ca. 300 Höhenmeter). Der Rest war praktisch flach und am Meer entlang. Also wunderbare Aussicht inklusive.
  3. Der Regen war eine angenehme Abkühlung bei diesem tropisch-angehauchten Klima.
  4. Wiederum schätzten wir die Extra-Line für Roller und Fahrräder. So hatten wir viel Platz und fühlten uns sicher.

Eigentlich hatten wir Fengbin (50 km) als unser erstes Tagesziel definiert. Doch während wir dort im 7-Eleven bereits um 17.00 Uhr Znacht assen und unsere Route auf Google Maps betrachteten, reizten uns die schönen Bilder vom Campingground in Shitiping. Also schwangen wir uns nach dem Znacht nochmals auf den Drahtesel und nahmen die 16 Extrakilometer auf uns. So radelten wir in der Dämmerung Shitiping entgegen. Dabei zeigte sich uns die Ostküste von einer mystisch-abenteuerlichen und gleichzeitig unheimlich-verlassenen Seite.

Die Fahrt hatte sich gelohnt. Der Campingground lag direkt am Meer und es waren kleine Hüttchen für Zelte vorbereitet. Im Dunkeln stellten wir unser Zelt auf. Eine Katzenwäsche musste reichen. Noch schnell die Zähneputzen und ab in den Schlafsack. Mein Schlafsack hatte leider Bekanntschaft mit dem Regen gemacht und war daher an den „Füssen“ etwas nass.

Notiz an mich: Schlafsack nicht mehr zuunterst in die Fahrradtasche legen und Regenhülle immer wieder kontrollieren. Denn es hatte sich während der Fahrt Wasser in der Regenhülle gesammelt. So war der Taschenboden während der Fahrt in Wasser „getunkt“. Nicht optimal. 😅

2. Etappe | Shitiping − Dulan (86 km)

So lässt es sich leben. Zelt auf und voilà: Das Meer.

Der Morgen präsentierte sich sehr freundlich. Der Regen hatte aufgehört. Nach einem einfachen Zmorge gings weiter auf dem Velo. Remo fühlt sich leider nicht so fit. Ob er sich am Vortag erkältet hatte? Trotzdem machten wir uns in einem guten Tempo auf den Weg. Nach ein paar Kilometern kamen wir bei einem merkwürdigen, weissen „Turm“ vorbei. Dem Tropic of Cancer Landmark.

Dieser „Turm“ markiert die am weitesten vom Äquator entfernte Position in der nördlichen Hemisphäre, wo die Sonne noch im Zenit steht. Also der nördliche Wendekreis der Sonne. Jährlich am 22. Juni am Mittag steht die Sonne vertikal über diesem Ort. Wenn man zu diesem Zeitpunkt dort ist, kann man also das Phänomen erleben, keinen Schatten zu werfen.

Interessant ist auch, dass nördlich von diesem Wahrzeichen gemässigtes Klima herrscht, südlich davon tropisches Klima. Die Landwirtschaft wird hier also wie zweigeteilt. Beispielsweise können Reisbauern im nördlichen Teil nur zweimal jährlich Reis ernten, im südlichen Teil dreimal jährlich. Spannend oder?

Weiter ging es nach einer kurzen Trinkpause. Immer wieder überholten uns hupende Autos. Dabei lehnten sich die Leute aus dem Autofenster und winkten uns, hielten uns einen „Daumen-hoch“ hin oder applaudierten. Anscheinend gehörten wir hier auch zu den Attraktionen. 😂

Auch wenn unser Energielevel an diesem Tag ziemlich schnell abnahm, gab es nur eins. Treten, treten, treten. Wenn einem dann der Fahrtwind ins Gesicht bliess, schöne Landschaften vorbeizogen und man die Gedanken ziehen lassen konnte, war das ein Stückchen Freiheit auf zwei Rädern:

Unterwegs kurz vor dem Mittagsrast erreichten wir Sanxiantai. Dieser Ort ist einer der populärsten Fotospots an der East Coast. Doch wir waren praktisch alleine dort. Die markante Bogenbrücke, die wirklich toll aussieht, ist total 400 m lang. Wie ein Drache schlängelt sich die Brücke in acht Bogen rüber zur kleinen Insel. Wir geben es zu: Unsere Beine waren so müde, dass wir es nur auf den ersten „Bogen“ geschafft haben. Aber immerhin. Wir waren auf der Brücke. 😜

Noch 4 km bis ins Dörfchen Donghe. Dort hatten wir uns ein Zmittag mehr als verdient. Unsere Beine waren bereits wie Pudding. Aber wir wollten unbedingt noch weitere 16 km bis Dulan fahren, da es dort mehrere Camping-Möglichkeiten gab.

Was wir damals noch nicht wussten (Achtung Spoileralarm): Dieses kleine Örtchen Donghe würde unser Zuhause sein für die folgenden vier Wochen.

Gestärkt machten wir uns auf die letzten Kilometer. Plötzlich schepperte es. Remo lag am Boden. Kurzer Schockmoment. Doch als ich bei Remo ankam, stand er schon wieder auf den Beinen und lachte. Alles okay. Eine seiner Fahrradtaschen hatte sich gelöst und sich in den Speichen des hinteren Rads verfangen. Zum Glück ist ihm nichts Schlimmes passiert. Er hatte eine grössere Schürfwunde am Unterarm und am Knie. Ansonsten keine Schmerzen. Puh. Was für ein Glückspilz.

Unsere Gadget-Tasche kam nun zum Zug. Gut ausgerüstet mit Spannset und diversen Bändeln flickten wir die Tasche bzw. die Halterung. Weiter gings und schon bald darauf erreichten wir unser zweites Etappenziel. Leider standen wir aber vor einem verschlossenen Tor. Der Camping war wohl noch nicht geöffnet. Hm. Ok. Dann weiter. Wir haben gelesen, dass es hier neben der Polizeistation einen weitere „Campingground“ geben soll.

Als wir dort ankamen, war auch dieser gesperrt. „Wegen Unterhaltsarbeiten geschlossen.“ Ja gut. Dann versuchen wir ein Plätzchen in einem der Hostels hier zu ergattern.

Fehlanzeige. Viele Hostels hatten zu. „The border is closed. So we are closed.“ Die Unterkünfte scheinen sich aufgrund des Regierungsentscheids dazu entschieden zu haben, vorübergehend den Laden dicht zu machen und keine Ausländer zu beherbergen. Schade. Dann müssen wir die Nacht halt trotzdem im Zelt verbringen.

Etwas enttäuscht suchten wir nach der Strasse, die uns zum Meer hinunter führen sollte. Und waren sofort wieder guter Laune, als wir dieses wunderbare Fleckchen Erde entdeckten:

Campen mit Meersicht. Daran könnten wir uns fast gewöhnen.

3. Etappe | Dulan − Taitung Station (26 km)

Die Sonne weckte uns. Bereits um 7.00 Uhr war es in unserem Zelt gefühlte 40 Grad. Also Zeit aufzustehen. 😅

Wir genossen die ersten Sonnenstrahlen seit langem, räumten dann alles auf und packten unser Rennvelo für die letzte Etappe. Nur noch 26 km bis Taitung. Ein Klacks im Vergleich zu den letzten beiden Tagen.

Es war mit Abstand der heisseste Tag. Im Nachhinein sind wir dankbar, dass es die letzten beiden Tage „kühler“ war. Komischerweise hatte ich mir aber bereits am bewölkten Vortag einen schönen Sonnenbrand am Arm geholt. „Das gibt einen schönen Velofahrer-Abdruck“, meinte Remo. Er hatte recht. 😅

Nach knapp einer Stunde Fahrt waren wir bereits auf der grossen Brücke vor Taitung City. Wir hatten es also fast geschafft.

Ein schöner Veloweg führte dann am Stadtrand entlang bis zum Bahnhof, wo wir unser Rennvelo zurückgeben konnten.

Es war schön, einen Teil von Taiwan auf eine entschleunigte Art und Weise zu entdecken. Mal nicht mit dem Roller oder dem Bus, sondern „hautnah“ auf dem Fahrrad, wo die Umgebung etwas langsamer „vorbeizieht“.

Unsere Cycling-Tour nochmals zusammengefasst:

  • Fahrtzeit: 8 Stunden und 40 Minuten (auf drei Tage aufgeteilt)
  • Länge: 181 km
  • Durchschnittsgeschwindigkeit: 21 km/h
  • max. Geschwindigkeit: 57.6 km/h
  • Höhenmeter: 620 m ⬆ 620 m ⬇
  • Wetter: 1 Tag Regen, 1 Tag bewölkt, 1 Tag Sonne
  • Gefahren: Alte Leute auf Roller, Fahrradtaschen 😅

Unser Gepäck hatte es übrigens auch nach Taitung geschafft. So packten wir alles wieder in unsere grossen Rucksäcke, machten uns etwas frisch und liessen uns dann auf die bequemen Erholungssessel am Bahnhof Taitung fallen. Dieser Bahnhof ist wohl der schönste und modernste, den wir bisher gesehen hatten. Vielleicht gefiel er uns aber auch so gut, weil man von hier ins Grüne sehen konnte. 😉

Von hier aus ging es mit dem Bus zu unserem nächsten Ziel: Jinzun. Google Maps zeigte an, dass die Fahrt mit dem Bus drei Stunden dauern würde. Uns schien das etwas lang zu sein für die knapp 40 Kilometer, aber wir liessen uns überraschen. Die Strecke kannten wir schon, da wir diese mit den Velos bereits gefahren sind. So konnten wir diesen Streckenteil nochmals „von der anderen Seite“ Revue passieren lassen.

Damit wir am richtigen Ort aussteigen würden, kontrollierten wir die Fahrt bzw. unseren Standort via Google Maps. Der Busfahrer fuhr bei unserer Bushaltestelle aber gekonnt vorbei und stoppte erst eine Haltestelle weiter. Vielleicht lag es daran, dass wir den Stop-Knopf nicht auf Anhieb gefunden hatten. 😂

Also gab es 10 Minuten Extra-Walk zur steilen Strasse hinunter zum Hafen von Jinzun. Bei gefühlten 40 Grad waren wir sowieso schon bachnass − da kam es auf diese Zusatzstrecke auch nicht mehr drauf an. Wir waren dann aber doch erleichtert, als wir unsere Bleibe für die nächsten zwei Wochen vor uns sahen.

Willkommen in Jinzun

Was und wer uns in Jinzun erwartete und wie wir unfreiwillig zu neuen Haustieren gekommen sind, erfahrt ihr im nächsten Beitrag.

4 Kommentare zu „East Coast | Wo Radfahrer-Herzen höher schlagen

  1. Einfach ich - just me 27. April 2020 — 23:25

    Ihr seid ja ziemlich fit. Früher, als ich noch jung war, habe ich viele Radtouren gemacht. Aber ich blieb in Europa. Macht weiter so und genießt Eure Zeit.

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    1. Vielen Dank für den Kommentar. Wir geniessen es sehr und berichten gerne weiter über unsere Erlebnisse hier drüben 😉 Liebe Grüsse

      Gefällt 1 Person

  2. Spannend, eure Reise zu verfolgen.. Danke und weiterhin viel Spass und Glück.

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